Woyzeck - der erste bürgerliche Held

Aristoteles? Nicht mehr nötig

In den letzten paar Wochen merkte ich, dass unsere Deutschlektüre einen markanten Unterschied gegenüber ihren Vorgängern hat. So stellte sich nämlich im Rahmen unserer Besprechungen und Diskussionen im Unterricht heraus, dass Georg Büchner in seinem Woyzeck als erster mit einem Jahrhunderte alten Prinzip bricht: der Fallhöhe des Aristoteles.

Die Idee der Fallhöhe Viele Aspekte von dramatischen Werken haben ihren Ursprung bei Aristoteles. Von dem Griechen stammen Grundlegende Ideen und Konzepte des Theaters, wie zum Beispiel die Katharsis oder eben auch die damit verbundene Fallhöhe. Nach Aristoteles basiert gutes Theater, also Theater, welches das Publikum bewegt, zu einem grossen Teil auf dem Protagonisten. Das Publikum muss sich mit dem Hauptcharakter identifizieren können. Nur so geht die Geschichte, alles was er durchlebt wirklich unter die Haut. Voraussetzung für ein Drama, das nach Aristoteles auch wirklich tragisch ist, ist ein möglichst tiefer Fall des Helden: Er oder sie muss von ganz oben nach ganz unten, muss alles verlieren. Damit dieses Leid und dieser Verlust maximiert werden, muss der Held zuerst ganz oben stehen. Nur so ist ein maximal tiefer Fall garantiert. An dieser Idee hielten Schriftsteller über Jahrhunderte fest, Beispiel dafür wäre z.B. Schillers Ferdinand aus «Kabale und Liebe».

Nicht grösser könnte der Kontrast sein zwischen dem idealen reichen, geliebten und mächtigen Helden und Woyzeck. Indem Büchner als erster Schriftsteller einen bürgerlichen wie Woyzeck als Held seines Stückes wählt, gibt er einer neuen Perspektive Einzug in das Theater. Büchners Werk betrachtet, als erstes im westlichen Raum, die Probleme des dritten Standes als würdig, um im Theater Thema zu sein.

Ein Modell, das ausgedient hat Wie so einige Ideen aus der Zeit der griechischen Antike, war auch die Theorie der Fallhöhe dazu bestimmt, früher oder später abgelöst zu werden. Büchners Wahl eines bürgerlichen als Held eines Theaterstückes ist leicht nachzuvollziehen, wenn man die soziale und politische Situation seiner Zeit genauer betrachtet. In einer Gegenwart mit Hungersnöten, politischen Spannungen und einer ersten Formierung des Proletariats liegt es nahe, die Probleme der Gesellschaft, besonders diejenigen der speziell betroffenen Unterschicht, zu thematisieren. Ein weiteres Werk über die Probleme im Liebesleben eines Adligen würde einfach nicht in die Zeit passen. So kann man sagen, dass die Ablösung der adligen Helden durch das bürgerliche Heldentum in der Literatur zu einem gewissen Ausmass Produkt der gesellschaftlichen Zustände ist.

Heldentum aus unteren Schichten in der heutigen Literatur Büchner blieb bei Weitem nicht der einzige Schriftsteller, der von einem Mensch schrieb, welcher unter sozialstrukturell bedingten Problemen leidet. Genauso wie vor knapp 200 Jahren steckt auch heute noch strukturelle Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft und genauso wie damals Büchner, gibt es auch heute Schriftsteller*innen, die solche Probleme ansprechen und unter anderem im Rahmen der Literatur zum Thema machen. Ein Beispiel für einen solchen Autor wäre Laurent Gaudé. Das von ihm geschriebene Buch «Eldorado» erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der durch den afrikanischen Kontinent bis nach Spanien reist. Durch die «Ich-Perspektive» im Buch und die gelungene Darstellung der Erlebnisse des Protagonisten bewegt die Geschichte einen als Leser*in besonders. Die Leserschaft wird in die Problematik hinter der Migration von Afrika nach Europa auf eine sehr persönliche und emotionale Art eingeführt, die einen entsprechend trifft.

Die Fallhöhe ist nach Aristoteles ein vitaler Bestandteil von Theater, welches das Publikum berührt und absorbiert. Moderne Beispiele zeigen jedoch, dass eine maximale Fallhöhe keineswegs eine Prämisse für bewegende Werke ist. Ein Mitfühlen mit dem Leiden und den Schwierigkeiten einer Figur bedarf nicht zwingend einen adligen Helden, der alles verliert. Es können genauso Menschen aus schwierigen Verhältnissen die Hauptrolle in einer Geschichte einnehmen. Es bedarf lediglich einer gelungenen Beschreibung der Situation und der Gedanken einer Figur, um dem Publikum die Möglichkeit zur Identifikation zu bieten. Seit Büchner haben viele weitere Schriftsteller*innen gezeigt, dass auch Menschen, die in sozial bedingten schwierigen Situationen leben, ausserordentliche Hauptfiguren für eine Geschichte sein können. Die wenigsten können sich heutzutage in einen adligen Herrschersohn hineinversetzen.

Die Idee für meinen Text hatte ich mit einer speziellen Brainstorming Methode aus dem Unterricht gefunden. Leider hatte ich am Anfang sehr schnell mit dem Schreiben begonnen und nicht viel Zeit für die Konzeptualisierung investiert. So musste ich am nach dem ersten Teil des Textes merken, dass ich keine klare Idee habe, wie die Produktion weitergehen soll. Nachdem ich die Unterrichtsinhalte repetiert hatte, suchte ich eine Idee, um das ganze Wissen weiterzuverarbeiten. Zu diesem Teil der Textproduktion hatte ich mir anfangs zu wenig Gedanken gemacht. Mit dem Werk «Eldorado» fand ich schliesslich einen Inhalt für den 2. Teil der Aufgabe. Für einen nächsten Blogeintrag wäre es sinnvoll, mehr Zeit in das Entwickeln der Idee zu stecken. So kenne ich das Ziel, das Endprodukt und kann den ganzen Text schon am Anfang daran anpassen. Ich habe keine fremde Hilfe für den Text verwendet und mit dem Resultat bin ich mässig zufrieden.